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Ein Märchen der Angst

Es war einmal ein kleines Mädchen, das sich in einem riesengroßen Wald verlaufen hatte.
Jeder den es traf und nach dem Weg fragte, sagte ihr etwas anderes wo sie lang gehen sollte.
Doch gleich welche Richtung diese ihr vorgaben, es geriet immer tiefer in den Wald, bis es keinen Ausweg mehr zu geben schien.

Überall knisterte und raschelte es. Seltsame Geräusche kamen an ihr Ohr und wurden immer lauter. Der Wind hatte keine klare Richtung und blies von allen Seiten. Mal bogen sich die Äste der Bäume wild durcheinander, mal wirbelte das Laub am Boden und veranstaltete einen seltsamen Tanz.

Das kleine Mädchen hatte Angst weiter zu gehen, Angst davor was es im nächsten Moment erwarten würde. Alles was es wahr nahm wurde zur Bedrohung. Wovor wusste es nicht, doch es wollte sich schützen, irgendwo verstecken. Doch gleich wo das Mädchen hinsah, es fand keinen Ort wo es sich hinbegeben konnte um sich sicher zu fühlen.

Nachdem es stundenlang so weiter geirrt war, es wurde immer dunkler, denn die Nacht drohte herein zu brechen, probierte das Mädchen aus wie es hinter einem Busch wäre. Vielleicht konnte sie dort die Nacht verbringen. Doch der war voller Dornen und tat ihr weh. Ein anderer hatte so viele Äste, dass es sich darin verfing und schwer wieder raus kam.

Nur noch schemenhaft erkannte das kleine Mädchen in der Ferne eine große Eiche. Vielleicht kann ich auf den Baum klettern, dachte es, der wird mich sicherlich tragen.
Mühevoll versuchte das Mädchen hoch zu kommen, rutschte immer wieder an dem dicken Stamm ab. Es bemühte sich weiter ein Stück höher. Endlich oben an dem Punkt angekommen, wo sich der Stamm teilt und die dicken Äste weiter immer dünner werden, fühlte sich das Mädchen einen Moment lang wohl. Sie schaute von oben herab, konnte das Treiben am Boden aus der Entfernung betrachten.

„Wovor habe ich eigentlich Angst?“, hörte sie sich fragen. „Habe ich Angst wie die Maus da unten gerade von einem Bussard gefangen und gefressen zu werden?“ Das Mädchen erschauderte bei diesem Gedanken und es war froh oben auf dem Ast zu sitzen. „Oder davor von Wildschwein gejagt zu werden, wie das arme Reh da gerade?“ Es fand keine Antwort, ihr war kalt, fühlte sich verloren und unendlich einsam. Gern hätte es sich hingelegt um etwas auszuruhen. Der Baum bot ihr jedoch keinen Platz sich auszustrecken,
Da das kleine Mädchen so müde war und Angst hatte, schliefe es ein, vom Baum zu fallen, entschloss es sich wieder runter zu klettern.

Unten angekommen überfiel es eine so starke Müdigkeit, dass es zu Boden sank und angelehnt an die Eiche in einen unruhigen Schlaf glitt.
Immer wieder schreckte es auf. Es war so dunkel geworden, dass es nicht mal ihre Hand vor Augen sah. Weinend zog es sich immer mehr zusammen, versuchte sich an den Baum zu klammern. So verging Stunde um Stunde.
Trotz der Dunkelheit sah es immer wieder wilde Tiere auf sich zukommen. Fiel in ein schwarzes Loch, wo es keinen Ausweg gab, versuchte sich an Wurzeln hoch zu ziehen. Doch diese waren nicht stark genug und zerrissen, bevor es sich befreien konnte.

Irgendwann, als das Mädchen wieder einmal Schweiß gebadet wach geworden war, erkannte es: „Was nützen meine Gedanken, was nützt meine Angst, machen sie doch alles umso schlimmer“.
Sie gab den Kampf auf und sich dem hin was gerade war, vertraute dass es auch wieder Morgen würde und sie aus dem Wald raus fände.
Eine ungewohnte Ruhe überkam das Mädchen. Sie nahm die vielen Geräusche im Wald wahr, ohne Angst. Die Gedanken zogen sich zurück und so schlief sie erneut ein.

Sie wusste nicht wie lange sie geschlafen hatte, als ein lautes Pfeifen sie sanft weckte. Der Morgennebel bewegte sich harmonisch um die Bäume herum. Auf den Sträuchern glitzerte der Tau und die ersten Sonnenstrahlen trafen auf den Waldboden, als wollen sie einen Weg markieren. Überall hatten die Vögel angefangen den neuen Morgen mit ihrem Gesang zu begrüßen.

Während sich das Mädchen den Schlaf aus den Augen wischte, entdeckte sie ein Reh, was sich in ihrer Nähe nieder gelegt hatte und sie nun mit großen, leuchtenden Augen ansah. Ein paar Hasen tollten um den Baum herum und zwei Eichhörnchen erkundeten, ob sie vielleicht etwas in ihrer Jacke versteckt haben könnte.

Das Mädchen lächelte glücklich über die Schönheit die sie umgab.
Es war alles so voller Lebendigkeit und Harmonie und eine Geborgenheit umhüllte sie, welche sie noch nie gespürt hatte.

Das Mädchen sprang auf und tanzte übermütig, umarmte hier und da einen Baum. Selbst der Strauch mit den Dornen gab im Sonnenlicht überall wunderschöne Blüten preis. Die vielen Zweige, in die sie sich vor Stunden noch verfangen hatte, boten den Vögeln Schutz darin ihre Nester zu bauen.
Die Angst des kleinen Mädchens war wie weggeblasen. Weggetragen durch den Wind, oder durch die Nacht. Sie wusste es nicht. Vielleicht war sie auch in den nahe gelegenen Fluss gesprungen und statt zu ertrinken, tanzte sie nun mit den Wellen um die Hindernisse herum.

Wer weiß, so vieles hatte sich verändert, oder hatte sie sich verändert?

Jetzt wollte sich das Mädchen erst einmal bei der Eiche bedanken, die ihr Weinen und Klagen ertragen hatte.
Die Stelle, wo sie die Nacht verbrachte, sah aus wie ein Bett, durch die dicken Wurzeln der Eiche geformt und mit Laub bestückt zu einem weichen Lager.
All das hatte das Mädchen in ihrer Angst nicht einmal bemerkt. Voller Freude legte sie sich noch einmal rein, blinzelte durch die Zweige der Sonne entgegen. Und als sie wieder aufstehen wollte entdeckte sie vor sich einen schmalen Weg, der Richtung Horizont immer breiter zu werden schien.
Sehr gerne wäre sie noch geblieben, doch sie war viel zu gespannt darauf wo der Weg wohl hinführen würde und ging los.

Noch einmal drehte sie sich dankbar um. Der leichte Wind blies nun zu ihr, es schien als wolle er sie liebevoll anschubsen. Auch die Äste der Bäume neigten sich in ihre Richtung, als wollen sie ihr den Weg weisen.

Zielstrebig setzte das Mädchen einen Schritt vor den anderen. Staunte über die vielen Dinge, die die Natur am Wegesrand für sie bereithielt. Hier und da versperrte ein großer Stein ihren Weg, sie nahm ihn wahr, ohne sich darüber zu ärgern und fand jedes Mal einen Weg drum herum oder drüber zu gehen. Auch wilde Tiere machten ihr keine Angst mehr, selbst wenn sie scheinbar wütend auf sie zu gerannt kamen. Sie schaute ihnen nur tief in die Augen, oder streckte ihre Hand weit vor sich, worauf sie ihren Angriff stoppten und wieder ihrer Wege gingen.

Eine Zeitlang begleiteten sie ein paar Füchse, von denen sie viel lernte, bis sich ihre Wege wieder trennten. Auch einem Wolf begegnete sie, der ihr nachts seine Wärme schenkte, sie sich an ihn lehnen konnte oder er sich an sie. Doch immer wieder ging sie mal alleine auf ihrem Weg.

So überschritt das Mädchen weiter neue Horizonte. Vor jedem Hügel blieb sie einen Moment stehen, gespannt darauf was sie hinter ihm wohl erblicken und erleben würde. Tauchte mal eine Kreuzung auf, lächelte sie meist, wenn sie ohne zu überlegen zielgerichtet weiter schritt.

Welches Ziel hatte das Mädchen wohl, werdet ihr jetzt fragen. Die Antwort könnt ihr Euch nur selber geben. Für das Mädchen ist es der Weg…